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Spitzengeschichten
  • Donnerstag, 30 Januar 2014, 00:23 Uhr | Lesezeit ca. 11 Min.

Bis auf die Schornsteine geklettert

Spitzengeschichte 46

091013 Zeppelin 2Die frühen Flüge des Zeppelin über das Vogtland lösten eine riesige Welle der Begeisterung aus. Plauen war zu Pfingsten 1909 die erste sächsische Stadt, über der die schwebende Zigarre kreiste. 1913 durften ein paar Auserwählte sogar mitfliegen.

Kommt er oder kommt er nicht? Diese Frage bewegte in den Maitagen des Jahres 1909 Plauen, ja das ganze Vogtland. Alles wartete auf die sensationelle Erfindung des württembergischen Grafen Ferdinand von Zeppelin. Vor neun Jahren war sein erstes Luftschiff zum Jungfernflug über den Bodensee gestartet, jetzt sollte sich die fliegende Zigarre auf ihrem Flug vom Heimathafen Friedrichshafen gen Norden (das Luftschiff kam bis Bitterfeld) zum ersten Mal auch über einer sächsischen Stadt, über Plauen, zeigen. Bislang jedoch schwirrten nur Gerüchte durch die Luft. Ob der Zeppelin tatsächlich aufsteigen und das Vogtland überfliegen würde, wusste niemand so genau. Nach zwei Missgeschicken – am 5. August 1908 war die LZ 4 nach einer Notlandung in Echterdingen während der Instandsetzung von einem Gewittersturm erfasst worden und in Brand geraten, im April 1909 wurde die LZ 5 bei einer unvorhergesehenen Landung in Göppingen lädiert – hielt sich die Luftschifffahrt- Gesellschaft Friedrichshafen bedeckt mit Auskünften.

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So hoffte man eben – bis die Sache am Pfingstsonntag zur Gewissheit wurde. In den Vormittagsstunden des Feiertages, es war der 30. Mai 1909, läutete in der Redaktion des „Vogtländischen Anzeigers und Tageblatt“ das Telefon. Der Zeppelin II sei gestern Abend halb zehn in Friedrichshafen aufgestiegen, meldete der Informant am anderen Ende der Leitung. Heute Morgen, 8.30 Uhr, wurde das Luftschiff über Nürnberg gesichtet, über Bayreuth werde es 11.15 Uhr, über Hof eine Viertelstunde darauf erwartet. Sofort – so schnell war die Zeitung damals – verbreitete der „Anzeiger“ ein Sonderblatt. Die Leute rissen sich den Druck aus den Händen, in Windeseile sprach sich die Nachricht herum: Der Zeppelin kommt! Jetzt gab es nur noch eins: Raus aus dem Haus und einen guten Platz sichern!

Schwenk über Plauen

Während der Z II um die zwölfte Stunde Bobenneukirchen passierte, formierten sich in Plauen die erwartungsvollen Massen. Straßen und Plätze füllten sich mit Menschen, alles starrte in die Höhe. Immer noch beeindruckt von dem Auflauf, tippte ein anwesender Zeitungsredakteur am nächsten Tag in die Tasten: „… überall erwartete man mit fieberhafter Spannung das Eintreffen des Luftschiffes. Auf den Straßen, die einen freien Ausblick gewährten, sammelte sich die Menge und schaute nach der Richtung, aus der es kommen mußte. Alle Dächer, Dachluken und Bodenfenster waren besetzt, ja bis auf die Schornsteine war man geklettert. Auf den Höhen und Aussichtspunkten rings um die Stadt hatten sich Hunderte zusammengefunden. Von den Höhen aus konnte man das Luftfahrzeug auch zuerst wahrnehmen. Wie eine langgestreckte kleine Wolke von weißlicher Farbe wurde es zuerst am Horizont sichtbar, kam aber schnell näher und schwebte 12.40 Uhr über Großzöbern und Pirk.

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5 Minuten vor 1 Uhr schlug das Luftschiff von Weischlitz aus die Richtung direkt nach Plauen ein. Von diesem Zeitpunkt an hörte man auch schon deutlich die Propeller arbeiten; es war ein starkes Summen, dem Geräusch einer Dampfdreschmaschine vergleichbar. Näher und näher kam das seltsame Fahrzeug, einem riesigen Fischleib vergleichbar. Jetzt schwebte es direkt über der Stadt in einer Höhe von etwa 200 Metern. In mäßiger Geschwindigkeit flog es von Südwest nach Südost über das Häusermeer hinweg, überall mit jubelnden Zurufen: ,Hoch Zeppelin! Hurra Zeppelin!’ usw. begrüßt. Mit Tücherschwenken und Winken grüßte man hinauf, und die Insassen der beiden Gondeln, die man deutlich sehen, wenn auch nicht zählen konnte (andere Beobachter wollen mit dem Fernglase sogar Zeppelin erkannt haben), grüßten wieder.

Fast mitten über der Stadt führte das Luftschiff verschiedene Manöver aus … Es stieg mit der Spitze auf und nieder, wendete und schwenkte wiederholt. Als es über dem Grundstück des ,Vogtl. Anzeigers’ (Rädelstraße – PbK) stand, wurde eine Karte aus der Gondel herabgeworfen, die man später auf dem Dache eines Nachbargebäudes fand. Sie war nach Südböhmen gerichtet, in tschechischer Sprache geschrieben und stammte wahrscheinlich von einem der Monteure des Grafen. Der Finder wurde in deutscher Aufschrift gebeten, die frankierte, mit einer Abbildung des ,Z. II’ versehene Karte in den Postkasten zu befördern, was selbstverständlich geschehen ist … Graf Zeppelin hat übrigens selbst, als das Schiff über dem Gelände des unteren Bahnhofs war, eine Karte herabgeworfen mit der Inschrift: ,Fröhliche Pfingstgrüße aus dem Luftschiff. Zeppelin.’ Die Karte soll ein junger Mann an sich genommen haben.“

Der Alte vom Bodensee, wie der mittlerweile 71-jährige Flugpionier auch genannt wurde, versetzte an diesem 30. Mai 1909 ganz Plauen in einen Freudentaumel. Außer die Tierwelt. Die konnte dem unbekannten Flugobjekt nichts abgewinnen. Ganze Schwärme kleinerer und größerer Vögel suchten vor dem „Riesenvogel ängstlich das Weite“, beobachtete der Zeitungsschreiber. Und auch die Hunde, über denen „das Luftschiff seine Bahnen zog, fingen ganz aufgeregt an zu bellen“.

Über Reißig verabschiedete sich die Z-II-Crew mit einer „prächtigen Wendung“ von der Spitzenstadt und entschwand in Richtung Jocketa. Gegen halb zwei, schilderte der „Anzeiger“ weiter, näherte sich das Luftschiff in „majestätischem Fluge links vom Bismarckturme auf dem Kuhberg“ Reichenbach. Über das neue Elektrizitätswerk flog der Zeppelin parallel zur Dammstein- und zur Greizer Straße weiter nach Gera. Sein Erscheinen rief auch in Reichenbach „große Freude und Begeisterung“ hervor. Beinahe überrumpelt worden vom großen Ereignis wären dagegen die Mylauer. Als der Zeppelin kurz vor eins von Netzschkau kommend über der Stadt auftauchte, wurden die meisten Bewohner erst durch das deutlich hörbare Brummen der Motoren aufmerksam. Jetzt gab es allerdings auch hier kein Halten mehr. „Alles stürzte aus den Häusern, und die umliegenden Anhöhen waren in wenigen Sekunden von dichten Menschenmengen besetzt, die mit stürmischem, unbeschreiblichem Jubel das Eintreffen des Luftschiffes begrüßten“, berichtete der „Anzeiger“ drei Tage nach dem Überflug.

Plauen bekam Zeppelinplatz

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Der Stolz quoll den Herren des Vogtländischen Vereins für Luftfahrt aus allen Knopflöchern, als sie, kaum dass der Zeppelin weg war, an König Friedrich August II telegrafierten: „Eurer Majestät sendet untertänigst unterzeichneter Verein namens der begeisterten Bevölkerung die freudige Pfingstmeldung, daß der Graf Zeppelin mit seinem neuen siegreichen Luftschiff die erste Stadt Eurer Majestät Lande, unser Plauen, in stolzer Fahrt heute mittag überflogen hat.

In alter Sachsentreue

Vogtländischer Verein für Luftschifffahrt, Rudolf Sieler, Vorsitzender.“ Noch ganz unter dem Eindruck der hohen Ehre stehend, war sich der Stadtrat postwendend einig, den Namen des grandiosen Luftschiff-Erfinders in Plauen zu verewigen. Damit lagen die Stadtväter ganz und gar auf patriotischem Kurs, hatte doch kein Geringerer als der Kaiser Zeppelin erst kürzlich als „den größten Deutschen des 20. Jahrhunderts“ geadelt. Bereits am 2. August 1909, nur neun Wochen nach Zeppelins erster Plauen- Visite, war es so weit: Aus einer Grünfläche gegenüber der König-Georg- Kaserne wurde der Zeppelinplatz (1946 umbenannt in Rosa-Luxemburg-Platz). Sollte die erste Zeppelin-Überquerung des Vogtlands am 30. Mai 1909 tatsächlich jemand verpasst haben, er musste nicht lange warten auf die nächste Gelegenheit. Am 28. August 1909, einem Sonnabend, zeigte sich der Riesenvogel erneut am vogtländischen Himmel. Die Route war dieselbe wie ein Vierteljahr zuvor. Dieses Mal nahm der Vogtländische Luftschiffahrts-Verein die Vorbereitung der Aktion stabsmäßig in die Hand. Über die Zeitung mahnten die Flugfreunde Stadt, Einwohner und Kirchen zu „Glockenläuten und Flaggenschmuck“.

091013 ZeppelinFesten Boden unter den Füßen: Am 10. Oktober 1910 ging der „Parseval VI“, im Volksmund die „fliegende Wurst“ genannt, in Plauen vor Anker. Fotos: Stadtarchiv Plauen

Womöglich, kündigte der Verein in dem Artikel vage an, ginge der Z III sogar vor Anker auf vogtländischem Boden. Sollte er das vorhaben, so würde die Besatzung dies mit einer roten Fahne signalisieren. Unter den Einwohnern löste die Ankündigung des Luftkreuzers erneut freudige Erwartung aus. „Seit den Tagen der … großen Pfingstfahrt Zeppelins haben unsere Fernsprechapparate nicht wieder einen solchen großen Ansturm erlebt“, schilderte der „Vogtländische Anzeiger und Tageblatt“ die Stunden vor dem Überflug. „Die Damen im Telephonamt waren wirklich nicht zu beneiden. Vom frühen Morgen an bis in die späte Nacht hinein, ja bis über Mitternacht hinaus, denn gestern gab es keine Erholungspause, ging das Anrufen der Schriftleitung ununterbrochen fort: ,Wie steht’s mit Zeppelin?’“ Zunehmend mischte sich in die Neugier der Bevölkerung die Sorge, dass der Flug abgeblasen werden müsste. Denn das Wetter spielte nicht mit, am Freitag, dem 27. August, regnete es nahezu ununterbrochen.

Trotzdem waren in Plauen sämtliche Hotels komplett ausgebucht. Für Autos, und damit reisten vor 100 Jahren wirklich noch nicht viele Menschen, gab es keine Stellplätze mehr. Massen brüllten begeistert Hurra Die Enttäuschung war verständlicherweise groß, als am Freitagnachmittag die „Drahtmeldung“ beim „Anzeiger“ eintraf, dass es heute nichts mehr würde mit dem Z III. Viele hofften noch auf die Nacht, aber sie blieben vergebens wach. Dafür lohnte es sich, am nächsten Morgen weiter durchzuhalten. Gegen 11 Uhr meldete Hof, dass der Zeppelin gerade über die Stadt fliege. Das Signal, auf das alle gewartet hatten! Im Nu waren sämtliche Aussichtspunkte besetzt, zu Hunderten stürmten die Schaulustigen hinaus vor die Stadt.

Und selbstverständlich war auch der „Anzeiger“ wieder dabei und fing die Stimmung ein. „Schon als der Luftkreuzer am Horizont auftauchte, begannen die Massen ihr begeistertes Hurra zu brüllen“, berichtete das Blatt. Die Motoren des Z III schnurrten tadellos und boten dem entgegenkommenden Nordwind wacker Paroli. Statt der roten hing eine weiße Fahne an der Gondel, was bedeutete, wie mittlerweile jeder aufgeklärte Flugbeobachter wusste: Runter kommt der Zeppelin nicht! Die vier Kompanien des Infanterie- Regiments, die für den Fall einer Notlandung vorsorglich bereitstanden, konnten wieder einrücken.

Auf dem Rückflug aus der Reichshauptstadt nach Friedrichshafen nahm der Z III am 2. September 1909 erneut den Weg über Plauen, so dass das Volk gleich noch einmal in den Genuss eines himmlischen Schauspiels kam. Die nächste Ankündigung eines Zeppelins löste dann schon nicht mehr die ganz großen Begeisterungsstürme aus. Zumal es mit einer Landung wieder nichts wurde. Der „Parseval VI“ rauschte am 31. Juli 1910 vormittags zwischen zehn und elf Uhr auf seiner Reise von Bitterfeld nach München über Plauen und machte keine Anstalten, auf dem Regiments-Exerzierplatz des 134. bei Kobitzschwalde, wo für den Fall der Fälle erneut Soldaten postiert waren, niederzugehen. Dafür rückten die Truppenteile beim nächsten Mal nicht vergeblich an. Am 10. Oktober 1910 kam der „Parseval VI“ erst nachmittags gegen vier über Plauen in Sicht. In München hatte der Flug begonnen, für die Weiterreise nach Bitterfeld war die Stunde schon etwas zu vorgerückt. Nach mehreren Runden über Plauen ging der Zeppelin deshalb halb fünf über dem Exerzierplatz nieder. Die Augenzeugen jubelten und staunten – erst aus dieser Nähe konnte man sich ein Bild machen, wie riesig der Rumpf des Zeppelins wirklich war!

Das Luftschiff wurde über Nacht verankert und natürlich gut bewacht. Am nächsten Vormittag startete die Besatzung kurz nach halb zehn, auch „zwei Herren aus Plauen“ (Kleine Chronik der Stadt Plauen, 1909 – 1920) durften mit an Bord. Bis Bitterfeld benötigte der Zepp genau zwei Stunden und 45 Minuten.

In den folgenden Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg war es dann kein so außergewöhnliches Erlebnis mehr, einen Zeppelin über dem Vogtland zu sehen. Unter anderem tauchten die Luftschiffe am 26. September 1924 (während einer Deutschlandfahrt), am 3. Oktober und am 6. November 1928 (vor und nach der Amerikafahrt) über Plauen auf. Am 28. September 1930 flog die „Graf Zeppelin“ erst über Auerbach und landete dann in Reichenbach.

Besondere Freude löste ein Zeppelin in Plauen noch einmal am 3. August 1913 aus. Die Stadtverwaltung hob das Datum in ihrem Jahresbericht als einen „Merktag in der Geschichte der Luftschiffahrt für unsere Stadt und Umgebung“ heraus. Umjubelt „von abertausenden begeisterter Zuschauer“ landete der Zeppelin „Sachsen“, von Leipzig kommend, früh viertel neun auf dem Garnisions-Exerzierplatz. Während des kurzen Stopps nahm das Luftschiff einige Passagiere an Bord, zu einem gut einstündigen Rundflug über das obere Vogtland. Ein zweiter Rundflug über das Ostvogtland musste wegen der großen Hitze ausfallen – auch wenn die Schaulustigen in Auerbach und Umgebung die Absage für ein Gerücht oder einen üblen Scherz hielten und bis in den Nachmittag auf ihren Plätzen ausharrten. Die „Sachsen“ war da schon längst wieder gen Leipzig entschwunden, abgehoben gegen 10.15 Uhr mit mehreren Fluggästen an Bord.

Der Vogtland-Rundflug war eine Werbeaktion der Hamburg-Amerika-Linie, an der sich deren hiesiger Vertreter allerdings etwas verhoben hatte. Doch Plauen zeigte sich spendabel und übernahm die Restkosten. Im Verwaltungsbericht hieß es dazu später: „Die ungedeckt gebliebenen Aufwendungen … der Veranstalterin wurden mit 450 M aus Stadtmitteln gedeckt.“ PbK

Tipp: Weitere interessante Geschichten über Plauen lesen Sie im Historikus Vogtland!

2013-10-09

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