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Amandus Haase: Tod im NKWD-Lager

Spitzengeschichte 47

Mit seinen Ausgrabungen wies Amandus Haase die erste Besiedlung des Vogtlandes nach. Fachlich schaffte es der ehrgeizige Autodidakt in die Spitze der sächsischen Vorgeschichtsforscher, doch persönlich endete sein Leben tragisch.

010414 Amandus HaaseStunde des Triumphs, 1937: Amandus Haase an einem der drei bronzezeitlichen Hügelgräber nahe Chrieschwitz. Das Auffinden der Totenstätten, vor allem aber deren Inhalt waren seinerzeit Aufsehen erregend. Fotos (2): Vogtlandmuseum Plauen

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Amandus Haase? Nie gehört, keine Ahnung. So würde zwischen Auerbach und Pausa fast jeder im Vogtland antworten, fragte man ihn nach dem Mann mit dem ungewöhnlichen Vornamen. Dabei gucken sich Jahr für Jahr Hunderte von Leuten an, was der gelernte Schmied zutage gefördert hat. Denn Amandus Haase war der erfolgreichste Archäologe, der im Vogtland gearbeitet hat. Die Grabungsfunde, die er zwischen 1937 und 1943 aus der Versenkung holte, machen es überhaupt erst möglich, die frühe Besiedlung der Region aussagekräftig zu rekonstruieren. Robert Amandus Haase wurde am 27. Oktober 1886 in Zwickau geboren. Seine Eltern, beide stammten aus Crottendorf bei Annaberg, lebten dort einige Jahre, ehe sie nach Zwickau und Plauen übersiedelten. So besuchte ihr Sohn die Schule sowohl in der Schumann- als auch in der Spitzenstadt.

In Plauen lernte Haase ein solides Handwerk, er wurde Schmied. Die damals üblichen Wanderjahre als Geselle führten ihn nach Süddeutschland, wo er die Ausgrabungen von Pfahlbauten in Unteruhlingen am Bodensee miterlebte. Es war der Beginn einer lebenslangen Leidenschaft.

Nach einer Weile zog es den vielseitig interessierten jungen Mann zurück in die Heimat. Haase wurde Kaufmann, im Plauener Adressbuch tauchte er erstmals 1911/12 unter „Schnittwarenhandlung, Pestalozzistraße 51“ (Vertrieb gesägter Hölzer, Metalle u. ä.) auf. Wenig später, im Juni 1913, heiratete Haase die Taltitzerin Hedwig Helene Grimm. Ein Zufall, dass seine Angetraute ausgerechnet aus dem Dorf kam, das in Haases späterem Berufsleben noch eine wichtige Rolle spielen sollte.

Der Forscherdrang des mittlerweile 34- Jährigen erwachte endgültig, als er 1920 in die von Prof. Ernst Weise gegründete Geologische Vereinigung des Vogtlandes eintrat. Erste Sporen verdiente sich der Hobbygräber in Plauen am damaligen Erhardtschen Steinbruch zwischen Straßberger Straße und Weißer Elster (am heutigen Beruflichen Schulzentrum e. o. plauen). Haase legte Tierknochen aus dem Pleistozän (erdgeschichtliche Epoche von vor etwa 1,8 Millionen Jahren bis vor 11.500 Jahren, manchmal auch Eiszeitalter genannt) frei. Die Skelettteile können heute im Vogtlandmuseum besichtigt werden.

Eine Zeitlang wurde es dann ruhiger um Haases Bodenforschungen – bis 1936 die Untersuchungen in der Nähe der Reichsautobahn bei Taltitz begannen. Haase war sofort dabei, zunächst noch als rechte Hand von Museumsdirektor Dr. Ernst Pietsch. Mit seinen Helfern barg Pietsch Keramik aus der Bronzezeit (2200 bis 800 v. Chr.) und einen dünnen Bronzering. Mehr als 100 bronzezeitliche Scherben sowie zwei Herdgruben legte der Grabungstrupp frei. Im Plauener Museum herrschte großer Andrang, als es die spektakulären Funde während der Osterfeiertage 1936 im Oberlichtsaal präsentierte. Bis heute sind die jahrtausendealten Artefakte im Besitz des Hauses, ebenso wie die handschriftlichen Grabungsaufzeichnungen von dieser wichtigen bronzezeitlichen Siedlung im Vogtland.

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Mit ihren Taltitzer Ausgrabungen hatten Pietsch und Haase, der sein Geld bis 1939 als Hauptwachtmeister bei der Polizei verdiente und dann erst als Konservator ins damalige Kreismuseum wechselte, die Fachwelt aufhorchen lassen. Doch die größten Funde sollten erst noch kommen.

Es ist der 3. Mai 1937, ein Montag. Erwartungsvoll machen sich am frühen Morgen eine Gruppe Plauener Oberschüler und einige Lehrer auf den Weg. Ihr Ziel: die Krähenleithe, eine Anhöhe in der Nähe von Chrieschwitz. Ihr Auftrag: graben.

Vor Ort werden die Helfer schon von Amandus Haase erwartet. Er zeigt auf drei Erdaufschüttungen. Der Fachmann ist überzeugt: Unter diesen Hügeln liegt Bedeutsames verborgen. Er sollte sich nicht täuschen.

Vorsichtig tragen die Schüler die oberen Erdschichten der Hügelgräber ab. Mit Argusaugen beobachtet Grabungsleiter Haase die Arbeit. Bloß nicht zu ungestüm drauf losschaufeln! Doch die Jungen machen ihre Sache ordentlich. Nicht lange, und der erste Gegenstand kommt zum Vorschein. Über 3.000 Jahre hat er an dieser Stelle gelegen! Ein bewegender Moment, nicht nur für die jugendlichen Grabungshelfer.

Neun Tage, bis zum 12. Mai, benötigen Haase und seine Gehilfen, um die Gräber vollständig zu öffnen. Im Hügel I entdecken sie drei Gefäße mit Leichenbrand, sieben Gefäße verschiedener Größe in zerbrochenem Zustand, eine bronzene Pfeilspitze mit Tülle und zwei Gewandnadeln. Im Hügel II liegt ein Halsring aus Bronze. Der Beweis ist erbracht: Hier siedelten etwa 1200 v. Chr. bereits Menschen.

Chrieschwitz blieb nicht das einzige Grab der Bronzezeitmenschen, das Haase fand. Weitere Bestattungen aus dieser Periode stellte er in Reißig, Möschwitz, Pöhl und Wiedersberg fest. Von behördlicher Seite wurde Haases Entdeckung hoch anerkannt. Auf Vorschlag des Landespflegers für Bodenaltertümer und auf Grund des Gesetzes von Kunst-, Kultur- und Naturdenkmalen setzte man ihn als Vertrauensmann für Bodenaltertümer für die Amtshauptmannschaften Auerbach, Oelsnitz und Plauen ein.

Nach der Freilegung der Chrieschwitzer Bestattungsplätze grub Amandus Haase bis 1939 auf dem „Hohen Stein“, der „Göse“ und dem „Nassen Acker“ in der Nähe der Reichsautobahn bei Taltitz- Dobeneck. Als er fertig war, konnte die frühe Siedlungsgeschichte des Vogtlandes neu geschrieben werden. Freigelegte Pfostenlöcher ließen keinen Zweifel: Im Vogtland lebten vor über 3.000 Jahren schon sesshafte Menschen. In der Siedlung über der Elster bei Taltitz teilweise in einzelnen Höfen, ansonsten in geschlossen angeordneten Holzhäusern.

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010414 Haase-HausEinschulungsfoto vor dem „Haase-Haus“ (Anfang der 40er Jahre): Die Schule in Sachsgrün (heute Gemeindeverband Triebel) ehrte den Plauener Vorgeschichtsforscher unter anderem mit einer übermannsgroßen Bildtafel. Amandus Haase hatte auf Sachsgrüner Flur mehrere Bodendenkmale entdeckt. Auch ein Gedenkstein für den Forscher, Lehrer und Redakteur Eduard Johnson, der Ehrenmitglied im Altertumsverein war und während seiner Untersuchungen in der Nähe des Dorfes verstarb, geht auf Haases Initiative zurück.

Die Forscher bargen Hüttenbewurf, Feuer- und Herdstellen, Scherben von großen Vorratsgefäßen sowie Überreste von Hirsekörnern und Waldwachtelweizen. Reibe- und Mahlsteine wurden zusammen mit einem aus Lehm gebrannten Spulenständer und Webgewichten freigelegt, ebenso Abfall- und Bestattungsgruben. Ein Teil dieser Fundstücke kann in der Dauerausstellung des Vogtlandmuseums wieder besichtigt werden. Die Qualität der vogtländischen Bronze schätzte Haase als überdurchschnittlich hoch ein. Nach seiner Auffassung spielte die Region in der Bronzezeit „eine ganz besondere Rolle“, zitierten ihn die „Plauener Stadtnachrichten“ 1939, denn „das Vogtland verfügt als einziges Land über Erze, die als Gangmaterial Zinn enthalten, wodurch die Vorzeitbewohner im Vogtland eine besonders gute Bronzelegierung erhalten konnten“.

Haase ließ nicht nur über seine Arbeit berichten, er schrieb auch selbst Beiträge für Tageszeitungen und Fachblätter. Überhaupt schien ihm die Öffentlichkeitsarbeit ganz gut zu liegen; er hielt öfter Vorträge und führte Exkursionen durch – vornehmlich an die Orte, an denen er dem Erdreich seine Geheimnisse abgerungen hatte.

Dass sogar eine militante Organisation wie die SA bei Haases Ausgrabungen ausnahmsweise mal etwas Sinnvolles leistete, ist sicher nicht das Verdienst des Projektleiters, aber immerhin bemerkenswert. So standen Haase 1938 bei Bodenuntersuchungen an der Ruine Stein (bei Pirk) neben dem Talsperrenbauamt auch der Pioniersturm der SA-Brigade 134 zu Seite.

1939 wurde Amandus Haase Beisitzer des Altertumsvereins und als Museumskonservator angestellt. Im gleichen Jahr begann er mit Grabungen am Komturhof. Die brachten, wie im Fundbericht nachzulesen ist, allerlei aus dem Alltag des Ritterordens ans Tageslicht. Aus dem Schwemmschutt der Syra konnten bei Ausschachtungsarbeiten die äußere Stadtmauer mit vorgesetzter Bastion und auch ein innerer Mauerzug entdeckt werden. In der Schwemmschicht fanden sich Tierknochen von Wisent, Hirsch, Reh und Wildschwein, ebenso von Haus- und Nutztieren. In der von Haase als „Schicht 7“ beschriebenen Ebene wurden eine spätslawische Scherbe, ein Wikingersporn sowie erneut Knochen von Haustieren entdeckt.

Andere Ausgrabungen führte Haase auf dem Dobenaufelsen am Eingang des Plauener Stadtparks durch. Dort gelang ihm der Nachweis einer mittelalterlichen Burg, die Bestattung eines Leichnams in der St. Wolfgangskapelle und die bergbauliche Nutzung auf diesem Bodendenkmal. Zahlreiche Scherben, eine mittelalterliche Tonlampe und steinerne Zeugen geben darüber Auskunft. Im „Vogtländischen Anzeiger“ plädierte Haase 1940 für den Wiederaufbau der Ruine: „Es wäre sehr zu wünschen, dass die teilweise zerstörten Mauern neu hergerichtet werden könnten. Geschieht das, dann wäre unser Vogtland und unser Plauen um ein Denkmal aus frühgeschichtlicher Zeit reicher.” Bis heute ist Haases Wunsch eine Vision geblieben, ob die zuständigen Stellen der Bodendenkmalpflege und der unteren Denkmalschutz- und Naturschutzbehörde Plauens gemeinsam mit heimatverbundenen Bürgern daraus irgendwann einmal ein reales Projekt zustande bringen – die Zukunft wird es zeigen. Amandus Haases berufliche Laufbahn ging 1945 zu Ende, zuvor gelang ihm aber noch ein Aufsehen erregender Fund.

Bereits 1941 untersuchte und zeichnete er in Liebau die mittelalterliche Burg Altliebau. Zwei Jahre später, bei einer Begehung des Knorrs Pöhl, (genannt nach dem ehemaligen Besitzer) etwas außerhalb von Liebau gelegen, entdekkte Haase einen Erdtrichter, den Kinder aus dem Dorf gebuddelt hatten. Mit sicherem Gespür begann der Experte zu suchen, und seine Ahnung sollte ihm erneut Recht geben. Haase barg die Überreste eines Toten, eines Kriegers aus der La-Tené-Zeit (um 500 v. Chr.), in der Eisen schon bekannt war. Der Bestattete war mit reichlichen Beigaben in sein Hügelgrab gebettet worden, Haase fand ein Schwert mit Holzgriff, Knauf und Scheide, eine Lanzenspitze, eine Parierstange aus Holz (Querstück zwischen Griff und Klinge eines Schwertes oder Messers zum Schutz der Hand) mit Tutuli (Zierknöpfe), ein Haumesser mit Griff aus Bronze, einen Schleifstein, einen verzierter Schließhaken sowie Scherben von drei Gefäßen.

Haase stieß in Liebau noch auf weitere verschwundene Zeugen der Vergangenheit, darunter eine bronzezeitliche Siedlung auf dem „Viehhübel“, die frühmittelalterliche Wallanlage auf dem Talsporn hinter der Ruine und die mittelalterliche Wehranlage (Burg) Alt-Liebau. Seine Verdienste würdigte Gerhard Billig, Nestor und führender Experte für die Urund Frühgeschichte des Freistaates, als den „Beginn der systematischen Urgeschichtsforschung im Vogtland“.

Nach Kriegsende wurde Haase wahrscheinlich seine Vergangenheit als Polizist vor und im Dritten Reich zum Verhängnis, womöglich auch seine zweijährige NSDAP-Mitgliedschaft von 1943 bis 1945. Die Umstände seiner Verhaftung und sein weiteres Schicksal blieben lange Zeit ungeklärt. Erst vor einigen Jahren kam Licht in den letzten Lebensabschnitt des Plauener Museumskonservators. Ein Verwandter hatte über den Suchdienst des DRK in München recherchiert. Dort wurde man fündig.

Amandus Haase war am 8. August 1945 verhaftet und im NKWD-Sonderlager Jamlitz/Lieberose (Südost-Brandenburg) interniert worden. In diesem Lager starben 4.000 Häftlinge, die südlich des Lagers und in einer Schonung, östlich der Bahnlinie am Wege nach Guben, in Massengräbern verscharrt wurden. Einer von ihnen war, am 18. Februar 1947, Amandus Haase. (Dr. Gabriele Buchner)

Tipp: Weitere interessante Geschichten über Plauen und aus dem gesamten Vogtland lesen Sie im aktuellen Historikus Vogtland!

Zur frühen Besiedlung des Vogtlandes siehe auch „Historikus“, Ausgabe Mai-Juni 2006.

2014-04-01

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