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Spitzengeschichten
  • Sonntag, 29 Juli 2012, 02:05 Uhr | Lesezeit ca. 9 Min.

Der Schatz unterm Stelzenbaum

Spitzengeschichte 16

Stelzenbaum 1Einbetoniert (1920er Jahre): Der alte Stelzenbaum überstand vor 110 Jahren ein Unwetter nicht. Daneben wurde ein Nachfolger gepflanzt. (Heimatmuseum Stelzen)

Episode – In jeder Sage steckt bekanntlich ein Stück Wahrheit. So verhält es sich auch mit der Geschichte um den Stelzenbaum. Stelzen, das kleine Nachbardorf von Reuth, direkt an der sächsisch-thüringischen Landesgrenze gelegen, ist heute weithin bekannt durch seine Festspiele.

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Vor Zeiten war der Stelzenbaum eine Sehenswürdigkeit und ein beliebtes Wanderziel der Plauener. Er soll auf nicht ganz normale Weise gewachsen sein. Dazu gibt es zwei Überlieferungen. Eine brachte der Schriftführer des Altertumsvereins Plauen, Max Benedict, 1911 zu Papier*, die zweite stammt vom früheren Besitzer des Grundstücks, auf dem der Stelzenbaum stand, Edwin Hofmann:

1. Bei ihrem Kriegszug durch das Vogtland waren die Hussiten auch durch das Dorf Stelzen gekommen. Die Bewohner hatten sich vorher rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Nur ein junger Mann verzögerte sich etwas und wurde von den Feinden überrascht. Beim Erblicken derselben setzte er rasch über die Zäune hinweg, eilte ins nahe Holz und fand glücklich noch ein Versteck.

Die enttäuschten Verfolger trafen auf einer Waldwiese den greisen Hirten des Dorfes mit seiner Herde und verlangten, dass er ihnen den Aufenthalt des Flüchtigen zeige. Denn es war ihnen gerade an den jungen Leuten gelegen, weil sie diese zum Dienst im Heer zu zwingen pflegten. Als der Alte nichts anzugeben wusste, bedrohten sie ihn mit dem Tode. Da stieß er zur Beteuerung seiner Wahrheitsliebe … seinen Hirtenstab in die Erde und rief: „So wahr dieser alte Stecken einst wieder grünt, wird Gott meinen unschuldigen Tod an euch rächen.“ Natürlich trieb der Knüttel aus, man kennt dieses Wunder ja schon von Tannhäusers Stock am Hörselberg bei Eisenach. Ob den rauen Gesellen, die den Hirten nach seiner Prophezeiung aufknüpften, später überirdische Rache widerfuhr, ist dagegen nicht überliefert.

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Die Sage 1 geht aber noch weiter. Der Hirtenstab wuchs zu einem prächtigen Baum heran. Wer unter ihm einnickte, dem sollten bald die angenehmsten Träume durch den Kopf schwirren. So lebte in Stelzen einst ein armer Bauer namens Christoph. Als dieser einmal im Schatten dieses Baumes schlafend ruhte, erschien ihm jener alte Hirte. Er zeigte mit dem Stabe ins nahe Bayernland und rief ihm folgende Worte zu: „Auf der Regensburger Brück’ – Da findest du dein Glück!“

Nicht losgelassen von dem Traum, machte sich Christoph auf den Weg, um der Sache auf den Grund zu gehen. Bald stieg er suchend die Donaubrücke auf und ab; aber nirgends wollte sich das das verheißene Glück zeigen. Da vertraute er sich seinem Wirt an, der ebenfalls Christoph hieß, aber lahm auf den Beinen war und deshalb immer Stelzen mit sich führen musste. Dieser eigentliche Stelzen-Christoph konnte ihm zu seiner Überraschung von einem gleichen Traume, aber mit gegenteiligem Ziel, berichten. Ihm hatte ein Hirte gesagt: „Ins Vogtland geh’, – Nach Stelzen auf die Höh’, – Grab’ unterm Stelzenbaum, – Dort erfüllt sich dein Traum.“

Christoph eilte zurück in die Heimat – und fand just an der beschriebenen Stelle einen mit Münzen gefüllten Kupferkessel, den sein Vorfahre verborgen hatte. Mit dem Schatz kaufte er sich ein stattliches Gut, das seine Nachkommen mit dem Grundstück am Stelzenbaum noch heute besitzen. Soweit zu dieser Version von Baum und Schatz. Eine andere, die von Edwin Hofmann, ist kürzer und erzählt von einem Hussitentrupp, der auf der Stelzenhöhe, damals noch mit Wald bewachsen, biwakierte.

2. Zwei Soldaten standen Posten, und da es sehr ruhig war, durchstöberten sie den Wagen und fanden einen Kessel mit Dukaten, Gold und Wertsachen – Kriegsbeute. Sie entschlossen sich, den Fund einzugraben und nach Kriegsende später wieder zu heben. Doch schnell siegte die Habgier des einen, er erschlug seinen Spießgesellen, um das Geschäft später allein zu machen.

Als nun am Morgen die Offiziere den toten Soldaten fanden, wurde ein in der Nähe hütender Schäfer verdächtigt und beschuldigt, den Posten erschlagen zu haben. Vom Kriegsgericht wurde er zum Tode verurteilt…

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Das Weitere ist bekannt: Der Alte beteuerte seine Unschuld, stieß den Stab in die Erde, sagte seinen Spruch, kam zu Tode – und der Baum wuchs. Soweit die Legende. Wenn überhaupt jemals auf der Stelzenhöhe etwas Wertvolles lag, dann hält Günther Scheibe, Bürgermeister und Ortschronist von Stelzen, die zweite Erzählung für ein klein wenig glaubwürdiger. Denn die Hussiten dürften tatsächlich in Stelzen aufgetaucht sein.

Die Krieger aus Böhmen verwüsteten 1430 unter anderem Plauen sowie Hof und Weida. Zu jener Zeit führte eine Straße von Hof über Mißlareuth, Stelzen, Kornbach, Schönberg und Pausa weiter nach Weida, und auf der werden die Hussiten sicher entlanggezogen sein. Die alte Handelsstraße könnte übrigens auch erklären, warum in der Sage ausgerechnet Regensburg vorkommt. Manch ein Stelzener wird die große, fünfzehnbogige Brücke neben dem Dom bewundernd betrachtet haben, wenn er als Kärrner (Fuhrmann) oder Anspanner über Hof und Wunsiedel in Regensburg eintraf.

Wurde der Stelzenbaum zu Zeiten der Hussitengräuel tatsächlich „gepflanzt“, so müsste er 1569, aus dem Jahr existiert der erste schriftliche Nachweis über den Ahorn, ein stattliches Gewächs gewesen sein. Bis in die Zeit lässt sich auch die Familie der Stelzenhöhe-Besitzer zurückverfolgen. 1552 taucht urkundlich ein Caspar Hofmann Schultheiß (Bürgermeister) von Stelzen auf. Dessen Nachfahren leben bis heute im Dorf, sie alle waren Eigentümer des Grundstücks, auf dem der Stelzenbaum stand. Von plötzlichem Reichtum eines Ahnen ist allerdings in den Quellen nicht die Rede.

Der Ahorn stand zeitweise nicht allein auf der Höhe von Stelzen. Es soll dort auch eine Kapelle gegeben haben, die 1631 während des 30-jährigen Krieges abbrannte und danach nicht wieder aufgebaut wurde. Urkundlich lässt sich das Gotteshaus nicht nachweisen, aber einige Indizien sprechen für dessen Existenz: Ältere Stelzener können sich noch den Kirchensteig, einen Pfad von der Stelzenhöhe nach Leubnitz, erinnern. Der Leubnitzer Caplan (Pfarrer), der die Stelzener Kapelle mitbetreute, soll diesen Weg benutzt haben. Auch könnte die kleine Glocke in der heutigen Stelzener Kirche von der ehemaligen Kapelle stammen, und im alten Siegel der Gemeinde war neben dem Stelzenbaum eine Kapelle abgebildet.

Stelzenbaum 2In den 1880er Jahren, und damit kommen wir von der Epoche der Vermutungen in die der Tatsachen, erhielt der Stelzenbaum Gesellschaft von einem Signalturm des preußischen Generalstabs. Mit großen Spiegeln übertrug das Militär von dort oben Zeichen zu Stationen auf dem Kulm bei Lobenstein, den Wetzstein bei Lehesten, nach Linda bei Neustadt und anderswo hin. Als die Telegrafie die umständliche Nachrichtentechnik abgelöste, wurde der Signalturm überflüssig. Der Plauener Touristenverein kaufte das Bauwerk etwa 1890 und funktionierte es zum Aussichtsturm um. Da die Preußen den hölzernen Ausguck aber nicht für die Ewigkeit gezimmert hatten, musste der Turm Anfang des 20. Jahrhunderts wegen Baufälligkeit abgerissen werden.

Vom Stelzenbaum sahen die Wanderer da ohnehin nur noch einen Torso. Der alte Ahorn, mit mindestens 330 Jahren ein

Methusalem seiner Gattung, überstand am Abend des 18. März 1897 ein heftiges Unwetter nicht. Bei dem stürmischen Donnerwetter brach die Baumkrone, am nächsten Morgen ragte nur noch der kahle Stamm in die Landschaft, vier Meter hoch und 1,50 Meter im Durchmesser.

 

Bild: Militärisch nutzlos: Der Plauener Touristenverein baute die preußische Signalanlage zum Aussichtsturm um. (Heimatmuseum Stelzen)

Den Stumpf ließ der Plauener Touristenverein in den 1920er Jahren in Beton gießen und mit einer Platte abdecken, so sind die Überbleibsel des alten Stelzenbaums noch heute zu sehen. Daneben pflanzten die Naturfreunde bereits 1898 einen neuen Ahorn – gezogen von einem Tobertitzer Bauern aus einem Sämling des Originals.

Zwischen Abkömmling und Stumpf schiebt auch noch eine Eiche ihre Wurzeln in den Boden. Die setzte 1932 der Besitzer des Grundstücks, Edwin Hofmann, anlässlich der Einschulung seines Sohnes Gerhard – eine Stammeiche für den Stammhalter.

Zu DDR-Zeiten kamen aber weder Edwins Filius noch irgendein anderer Zivilist in die Nähe der Bäume. Die Sowjets umzäunten die Stelzenhöhe und richteten eine Radarstation ein. Auf 200 Mann schätzt Günther Scheibe die Personalstärke, mehr als der Ort selbst Einwohner hatte.

Da der Baum auf der Höhe noch auf sehr lange Zeit unerreichbar schien, pflanzten die Einheimischen im Oktober 1979 zur 700-Jahr-Feier von Stelzen auf dem Dorfplatz ihren eigenen Baum – einen Abkömmling vom Abkömmling. Vielleicht hätten sie’s gelassen, wäre damals schon zu ahnen gewesen, dass das „verbotene Land“ ein gutes Jahrzehnt später wieder für jedermann zugänglich wurde. 1991 zogen die Russen ab.

In den etwas abenteuerlichen Nachwendejahren spukten hochtrabende Pläne über die Zukunft der Stelzenhöhe durch den Ort. Ein Investor aus Deutschland-West wollte das Areal erwerben. Von Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen, Sonnenkollektoren, Biogas-Reaktor, einem Seniorenhotel, Gaststätte, Park mit Erlebnis-Swimmingpool, vielen Parkplätzen und einer neuen Zufahrtsstraße war die Rede, man fragt sich heute, wo das auf der Stelzenhöhe alles hinpassen sollte.

Die Visionen zerstoben an der Realität, sein großes Publikum hat Stelzen trotzdem einmal im Jahr. Die Stelzenfestspiele ziehen tausende Besucher an. Da war es nur folgerichtig, dass der „Verein Stelzenfestspiele bei Reuth e. V.“ die landschaftlich markante Höhe übernommen. Ein besseres Terrain für das mittlerweile im In- und Ausland bekannte alternative Kulturfestival hätte er nicht finden können.

Übrigens: Sollte es den Schatz unterm Stelzenbaum je gegeben haben, so wäre er bei weitem nicht der älteste Fund auf der Höhe über dem Dorf. Diesen Rang liefen dem Münzkessel 1928 gefundene Feuersteinwerkzeuge ab, darunter je ein gut erhaltener Hohlschaber, Fellkratzer und Fellschneider. Experten schätzten das Alter der bearbeiteten Steine damals auf etwa 70.000 Jahre. Über das Plauener Museum gelangte das Know-how der Neanderthaler ins Schleizer Schloss, wo es bei der Bombardierung im April 1945 vernichtet wurde. (PbK/Günther Scheibe)

Die Spitzengeschichten werden Ihnen präsentiert vom Historikus Vogtland. >> zum Historikus Vogtland

 

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