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Das Beste war für Plauen gerade gut genug

Spitzengeschichte 36

Friedensbrücke_KartePlauens Wohnsiedlungen und Friedhöfe platzten um die Wende zum 20. Jahrhundert förmlich auseinander. Wanderte man andernorts im Reich noch immer nach Amerika aus, versammelten sich hier Industrielle, Händler, Beamte, Arbeitswillige, aber auch Glücksritter und Abenteurer aus ganz Europa. Die Stadt hatte für kurze Zeit eine der aufstrebendste Jüdische Gemeinden im Reich. Wie die Industriellen der Stadt verdienten, so bauten sie auch.

Aus Plauen wurde eine der schönsten, großzügigst angelegten und reichsten Städte Deutschlands. Prachtvolle Wohnhäuser im späten Jugendstil baute man selbst für seine Industriearbeiter. Doch der Wohnraum reichte nie. Auch Baugrund für Industriebauten wurde in der Stadt zwischen den zwei Tälern und den sieben Hügeln mehr und mehr zur Rarität. Fast ein Viertel Jahrhundert hatten Grübler unter den Stadtherren darüber nachgedacht, bevor sie einen kühnen Plan fassten.

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Das Überschwemmungsgebiet im Elstertal, es hatte der Stadt in slawischer Vorzeit ihren Namen -Plave (von schwemmen/schwimmen)- gegeben, wurde von den Baumwollherren als Herausforderung verstanden. Denn es war noch bis vor hundert Jahren so, wie zur Slawenzweit. In wilden Mäandern schlängelte sich der Elsterfluss durch die Aue und brachte Jahr für Jahr zur Schneeschmelze Hochwasser in die Stadt. Vier Meter breit, bog der Fluss am heutigen Unteren Bahnhof schroff nach links (Uferstraße), quer über den heutigen Mediamarkt näherte er sich bis an den Mühlgraben, zurück über das Gelände des ehemaligen Pionierhauses streifte er den Weisbachschen Garten und floss über den Park der Böhlerschen Fabrik in etwa zum heutigen Flussbett zurück. Eine ähnliche Schleife machte der Fluss in der unteren Aue auf Höhe der Streichhölzerbrücke in Richtung Hammerstraße. Das kostbare Land, reich gesegnet mit dem wertvollen Rohstoff kalkarmen Wassers, lag vor den Augen der Textilherren überwiegend brach. Die kühnsten unter ihnen gründeten eine Genossenschaft und begaben sich mit Unterstützung der Sächsischen Regierung an die “Berichtigung des Elsterflusses”.

Der Fluss wurde begradigt, ums dreifache verbreitert, eingedeicht und gepflastert. In fünfjähriger Bauzeit wurde auf einer Gesamtlänge von 4.120 Metern (vom Neuen Wehr bis zur Hammerbrücke) “ein Bauwerk von hervorragendem volkswirtschaftlichem und hygienischem Nutzen” geschaffen. Mit seiner Fertigstellung wurde für Plauen ein Baulandgewinn von 350.000 Quadratmetern erzielt, der zu einem Quadratmeterpreis von 20 bis 30 Mark zum Verkauf kam. Mit ihm wurde auf städtischem Grund eine riesige Ebene inmitten des vogtländischen Hügellandes an schnellfließendem Wasser geschaffen, die nun auch die Frage beantwortet, warum dies gerade in Plauen und nirgendwo anders möglich war, ein solch gigantischer, wirtschaftlicher Aufschwung. Die weite Ebene zwischen dem rechten und linken Prallhang des Flusses, die einst pons lapideus, die alte Steinbrücke gebar, gab nun eine Fläche frei, wie sie in keiner anderen Gebirgsstadt zu finden war. Mit Fertigstellung 1902, hatte die so zugerichtete Elsteraue einen Gesamtverkehrswert von 8,75 Millionen Goldmark. Sie ist somit noch heute mit knapp 100 Millionen EURO (lt. Umrechnungs-Index von 1913, stat. Landesamt Kamenz) das wertvollste Bauwerk in der Geschichte des Vogtlandes. Das Beste, vor allem in der Architektur, war für Plauen zu dieser Zeit gerade gut genug.

Um zwei Stadtteile zu verbinden, leistete man sich 1905 ein Viadukt, das schon als Modell zur Weltausstellung in Saint Louis (1904 USA) eine Sensation war und in der Fachwelt als technisch nicht realisierbares Hirngespinst galt. Die Friedrich August-Brücke, eine Konstruktion der Firma “Liebold & Co.” aus Langebrück bei Dresden, die heute den Namen Friedensbrücke trägt, überspannt seither mit dem weltgrößten Natursteinbogen (90 Meter) das Tal der Syra. Sie steht, stark verwundet zwar, heute am historischen Endpunkt des über achttausendjährigen Naturstein-Brückenbaus in der Menschheitsgeschichte. In unmittelbarer Nähe der alten Elsterbrücke entstand mit dem “König-Albert-Bad” eine der schönsten und modernsten Badeanstalten Europas.

 

Wie ein scharfes Schwert trennte die große Krise der Textilwirtschaft 1911 und der folgende Erste Weltkrieg die junge Großstadt von all dem ab; von all dem, worauf sie auf Gedeih und Verderb angewiesen war, wofür sie über ein Jahrhundert brauchte, um dort zu sein; dem Weltmarkt und seinem Modezentrum Paris. Eine Not, von der sich die Plauener Textilwirtschaft nie wieder erholen sollte, aus der man in der Vomag jedoch eine Tugend machte. Doch dies ist eine bereits andere Geschichte.

Die Redaktion bedankt sich bei Achim Leißner für die Zuarbeit. (ce)

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