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Spitzengeschichten
  • Sonntag, 29 Juli 2012, 00:48 Uhr | Lesezeit ca. 4 Min.

Schiffchenstickmaschine erobert die Welt

Spitzengeschichte 34

Dietrich_BrüderIm Jahr 1881 kamen zwei Männer gleichen Namens nach Plauen, mieteten sich am 28. Oktober einen Raum an der Hofer Straße und bauten bis zum Jahresende ihre ersten drei eigenen Stickmaschinen. Die beiden Gründer der neuen Fabrik “J.C. & H.Dietrich”, die eigentlich nur eine Werkstatt war, kamen aus Chemnitz, besser aus Kappel.

Es waren die Namensvettern Johann Conrad Dietrich (Dietrichstraße) jener Meister aus der Schweiz, der es bei Albert Voigt zum technischen Direktor gebracht hatte und sein sächsischer Schüler Hermann Dietrich, die für Plauen bald Geschichte schrieben. Schon zwei Jahre darauf zogen sie in der Trockentalstraße eine eigene Fabrik mit 250 Arbeitern und Monteuren auf und produzierten im ersten Jahr 235 neue Handstickmaschinen. Da die beide bei ihrer Reise von Kappel nach Plauen die Technologie einer neuen Stickmaschinengeneration bereits im Gepäck hatten, konnte die Konkurrenz in Plauen und Umgebung im Wandel zur Schiffchenstickmaschine in keiner Weise bestehen. Die Dietriche hatten das Monopol. Vor allem der Alte Dietrich -er muss der “Uhrmacher” unter den Stickmaschinenbauern gewesen sein- baute Maschinen der feinsten, solidesten und stabilsten Art.

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Hatten sich seit Jahren Kappel und die Schweiz um die Schiffchenmaschine bemüht, die Dietriche stellten alles in den Schatten und erarbeiteten sich so neben den weltweit führenden, der Schweizer Firma “Saurer & Söhne” und ihrer eigenen Mutterfirma, einen achtunggebietenden Platz. So geschah es, dass in den für Plauen magischen zehn Jahren von 1881 bis 1891 die Einfuhr Schweizer Maschinen nach Deutschland stark zurück ging, schließlich ganz verebbte, der Weltmarkt aber, selbst der Schweizer, förmlich nach sächsischen, vor allem Plauener Maschinen, schrie. Die Schweiz selbst wurde zum Hauptabnehmer. Wie später die Spitzen, wurden Plauener Maschinen im Ausland unter diesem Markennamen weltberühmt. Nur im Sog und im Dialog mit dieser soliden Entwicklung Dietrichscher Maschinenmeisterschaft konnte sich der Wirtschaftsraum Plauen, wie kein anderer auf der Welt, zu den Höhen der Tüll- und Luftspitze in schier unendlichem Facettenreichtum wie einmaliger Qualität entwickeln.

Dietrich_StickmaschinenfabrikPlauen durchschritt in diesen Jahrzehnten das Tor zur Welt. Dietrich der Ältere zog sich 1893 mit hohen Verdiensten um den deutschen Stickmaschinenbau in den verdienten Ruhestand nach Elbflorenz (Dresden) zurück. Hermann Dietrich wandelte als nun alleiniger Direktor zwei Jahre darauf den Betrieb mit 400 Arbeitern und einem Aktienkapital von 1 100 000 Mark in die “Vogtländische Maschinenfabrik (vorm. J.C. & H.DIETRICH) AG” um. Mit der Spitzen- und Maschinenindustrie wuchsen Plauens Wirtschaftsfürsten zu Weltbürgern und ihre Stadt zum Weltzentrum für Spitzen und Stickmaschinen. Die Stadt nahm in Riesenschritten Kurs auf die Konturen einer deutschen Großstadt. Der Notwendigkeit massenhafter Personenbeförderung dieser Zeit verdankt Plauen ein Straßenbahnnetz, das am 17. November 1894 auf der Strecke zwischen Oberer Bahnhof und Neustadtplatz seinen Anfang nahm und noch heute beispielgebend für den öffentlichen Personen- und Nahverkehr ist. Die Spitzenindustrie als treibende Kraft der Entwicklung beeinflusste zahlreiche Nebenzweige der Textilindustrie. Den entscheidenden Schritt zum Weltruhm tat die Plauener Spitze zur Pariser Weltausstellung des Jahres 1900, wo sie den “Grand Prix” errang.

In den darauffolgenden zwölf Jahren kannte wirtschaftlicher Erfolg hier keine Grenzen mehr. Das Leben pulsierte fieberhaft, die heutigen Stadtteile wuchsen aus dem Nichts, das Café Trömel wurde für Fabrikanten und Falschspieler eine Europäische Adresse, Plauener Mädchen gelangten zu überregionalem Ruhm, Tonnen täglicher Postsendungen in alle Welt konnten die Postämter kaum bewältigen. Plauener Baumeister, wie Architekten damals noch hießen, entdeckten den “Stile Florale”, den Baustil des Jugendstils, der im Reich schon den Höhepunkt überschritten hatte. Baugenehmigungen wurden binnen Wochenfrist entschieden, die Stadt glühte, ihre Einwohnerzahl schwoll auf über 128 000 Bürger, eine aufstrebende Jüdische Gemeinde konnte sich entwickeln. Aus Plauen wurde im Sog der Maschinen und der Spitzen die Stadt des Jugendstils schlechthin, eine der schönsten Städte Europas.

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Die Redaktion bedankt sich bei Achim Leißner für die Zuarbeit. (ce)

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