Spitzengeschichte 22
Die Entwicklung textiler Produktion wird in Plauen frĂĽhzeitig von herausragenden Persönlichkeiten bestimmt. Die Geburtsstunde industriemäßiger Textilherstellung verdankt die Stadt Johann Friedrich Schild (SchildstraĂźe). Der grĂĽndete 1701 die erste Manufaktur und lieĂź 1702 ein “ordentliches Fabric-Haus” am MĂĽhlberg vor dem damaligen StraĂźberger Tor errichten.
Im Unterschied zum verbreiteten Verlagssystem, nach dem sogenannte Verleger den Grundstoff (Garn) lieferten und das Fertigprodukt (Tuch) bezahlten, das von Bauern in Heimarbeit produziert wurde, fasste die Manufaktur Arbeiter in einer Betriebsstätte zusammen. In ihr produzierten diese unter strenger Aufsicht, teilweise bereits arbeitsteilig und spezialisiert, jedoch noch weitgehend ohne den Einsatz von Maschinen. Sie war den Zünften nicht zugeordnet und auf Massenproduktion ausgerichtet. Manufakturen füllten zuvorderst die Kassen der Königshäuser, waren deshalb mit außerordentlichen Privilegien ausgestattet, die sie gegenüber den Zünften, auch Innungen genannt, bevorteilte.
Schild veränderte auf dieser Basis das gesamte Plauener Warensortiment. Seidene HalstĂĽcher nach “holländischer Art”, halbseidene und halbwollene Produkte, Kanewas, Barchent oder Kattun fĂĽhrte er in der Produktion ein. Schild wurde so fĂĽr hiesige Tuchmacher der bestgehasste Mann. Der besondere Groll der Schleiermacher traf Schilds Privilegien, die er von Herzog Moritz zu Zeitz erhalten hatte. Bereits 1715 wurden diese in der vierten Plauener Schleierordnung gebrochen und standen von Stund an der gesamten Innung zur VerfĂĽgung. Trotzdem gilt Johann Friedrich Schild als BegrĂĽnder industrieller Produktionsweise und als Vater einer neuen, aufstrebenden BĂĽrgergeneration in Plauen
Bei allem Respekt vor Unternehmertum ist nicht zu leugnen, dass Quelle des Reichtums, der in den folgenden zwei Jahrhunderten hier entstand, die unermĂĽdlich fleiĂźigen Hände der Voigtländer waren. Das Schwungrad ihres legendären FleiĂźes war die unglaubliche Armut des Landes seit den Vögten. Noch weit ĂĽber die hohe Zeit der Industrialisierung wird sie Unternehmer aus ganz Europa ins Vogtland locken, die sich daran zum Teil auf unglaublich brutale Weise gĂĽtlich taten. Ein Bild davon geben “die Erfahrungen eines jungen Schweizers im Voigtlande”, dem die Dichterin Bettina von Arnim 1843 in einem Traktat ein literarisches Denkmal setzte:
“Der Vater webet zu Bett und Hemden und Hosen und Jacke das Zeug und wirkt StrĂĽmpfe, doch hat er selber kein Hemd. BarfuĂź geht er und in Lumpen gehĂĽllt! Die Kinder gehen nackt, sie wärmen sich einer am andern auf dem Lager von Stroh und zittern vor Frost. Die Mutter weift Spulen vom frĂĽhsten Tag zur sinkenden Nacht. Ă–l und Docht verzehret ihr FleiĂź und erwirbt nicht so viel, daĂź sie die Kinder kann sättigen. Abgaben fordert der Staat vom Mann, und die Miete muĂź er bezahlen, sonst wirft ihn der Mietherr hinaus und die Polizei steckt ihn ein. Die Kinder verhungern, und die Mutter verzweifelt. Die Armenverwesung hat taube Ohren, sie läßt lange vergeblich sich anschreien vom Armen, was er ihr abdringt, das Leben zu fristen, läßt ihn nur langsamer sterben. […] An Feiertagen hält der Mäßigkeitverein eindringliche Reden im Voigtland, wo fĂĽr fĂĽnf Dreier fĂĽnfe ein Mahl sich bereiten.”
Trotz industrieller Revolution verbreitete sich im Vogtland das Prinzip der Verlagsarbeit noch ĂĽber die hohe Zeit der Spitzenindustrie wie eine Epidemie. Noch heute sind Verlagsstickereien zu besichtigen.
Die Redaktion bedankt sich bei Achim LeiĂźner fĂĽr die Zuarbeit.
04.11.2008, (ce)