Spitzengeschichte 38
Wie der große Plauener Industrielle Friedrich August Mammen, war auch Zahn ein Industriekapitän erster Klasse; sein Spielfeld aber, reichte weit über das von Mammen hinaus. Zahn, der einen großen Teil des Jahres auf Reisen verbrachte, war in der Schweiz, in Paris, in London und nicht zuletzt in Amerika Zuhause. So erkannte er nicht nur die Chancen der Konjunktur sehr früh, er erkannte auch früh ihre Grenzen. Sein exzellentes Wissen um die Märkte und die Technik der textilen Welt versetzte ihn in die Lage, diese aufs effektivste zu nutzen, ja sie “zu lancieren”, wie es der Spitzen-Historiker Willy Erhardt, in seinem Buch “Das Glück auf der Nadelspitze” treffend beschrieb. Zahn spielte das gleiche, große Spiel ums Geld, wie es der Fabrikbesitzer Friedrich Ludwig Böhler einhundert Jahre vor ihm im Königreich gespielt hatte, nun allerdings auf der Weltbühne. Robert Zahn war Manager im Weltmaßstab. Er war das Gegenteil der, im Wohlstandsbett schwerreicher Textilfabrikanten aufgewachsenen, Plauener Juniorchefs nach der Jahrhundertwende.
Erneut wurde aus einer Not eine Tugend. Zahn kehrte aus dem schweizerischen Rohrschach -dort hatte man, wie in Kappel und Plauen, seit Jahren fieberhaft an der Produktionsreife des Stickautomaten gearbeitet- als perfekter Stickautomatenbauer nach Plauen zurück. Zahn vereinigte in sich die Eigenschaften all jener kühnen Männer, die ein halbes Jahrhundert vor ihm, mit der Entführung zweier Schweizer Stickmaschinen den Keim für Plauens industrielle Entwicklung legten, in seiner Person. Was ein halbes Jahrhundert vorher noch, wie zufällig, ein Nebeneffekt des natürlichen Interesses voigtländischer Baumwollherren war, das betrieb Zahn nun mit der zwingenden Absicht, im Weltkonzert, zunächst des Textilmaschinenbaus, die erste Geige zu spielen. Das Ergebnis ließ in zähem Kampf um Patente zwischen der Schweiz, Kappel und Plauen vierzehn Jahre auf sich warten. Im April des Jahres 1910 verließ der erste Stickautomat nach dem ”System Zahn” das Werk an der Elster.
Der Automat vereinigte in sich die Solidität Plauener Handstickmaschinen mit der technischen Perfektion und Produktivität der Schiffchenstickmaschine. Die entscheidende Neuerung aber war, der Automat arbeitete ohne Bedienung. Der Sticker, der bisher mit Hilfe eines Pantographen (sog. Storchschnabel) der Maschine das zu stickende Muster vorgab, indem er im laufenden Stickvorgang eine Schablone abtastete, wurde durch einen Jacquardapparat, gesteuert von einer Lochkarte, ersetzt. Als die heimische Textilwirtschaft am Boden lag, trugen Zahns Monteure seine hochproduktiven, dabei einfach zu bedienenden Automaten hinaus in die Welt. Die VOMAG belieferte teils unter heftigem Protest den amerikanischen, den chinesischen und den japanischen Markt. Auch diesmal sollte die praktische Perfektionierung einer Erfindung, wie sie der Zahnautomat verkörperte, Folgen haben, die nicht vorherzusehen waren.
Die Redaktion bedankt sich bei Achim Leißner für die Zuarbeit. (ce)