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Der Beginn eines Vogtländischen Märchens

Moritz Erdmann EngelSpitzengeschichte 24

Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ist im Kurfürstentum Sachsen geprägt von rasanter Entwicklung der Textilindustrie. Schrittmacher ist die Stadt an der alten Handelsstraße zwischen Leipzig und Nürnberg. 1754 errichtete der Nürnberger Johann August Neumeister in Plauen die erste Sächsische Kattundruckerei.

Eigentümer war eine Sozietät von acht Plauener Baumwollhändlern. Sein, auf Heinrich Graf von Brühl zurückgehendes Privileg, das der Verpachtung der Generalakzise an Privatpersonen, wird 1763 wieder abgeschafft. Es ließ den Ertrag überschüssigen Gewinns in die Taschen der Pächter, statt in die des Kurfürsten fließen. In den Plauener Textilmanufakturen hatte man sich auf die Fertigung feinster Baumwoll- und Musselinfabrikationen, die Strumpfwirkerei und edel bedruckter Kattune umgestellt. Erfindungen wie die der Spinnmaschine von James Hargreaves von 1664, der Dampfmaschine durch James Watt von 1769 und des mechanischen Webstuhls von Edmund Cartwright von 1785 hatten für die hiesige Textilherstellung noch keine Auswirkungen, sandten aber unwiderstehlich ihre Vorboten voraus. Plauens Wirtschaftselite begann sich daran zu orientieren. Fabrikanten erkundeten, teils zu Pferde, die Wirtschaftszentren zwischen London, Paris und Venedig. Sie brachten ein neues “Evangelium” an Syra und Elster, das Evangelium der Weltwirtschaft. 1789 erschien in Plauen mit dem Intelligenz Blatt die erste Zeitung, aus der 1804 der Voigtländische Anzeiger hervorgehen sollte. Gegründet hatte ihn der Plauener Stadtdiakon Moritz Erdmann Engel (Engelstraße).

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Wilhelm Conrad GösselNeumeisters Manufaktur für Kattundruckerei und Färberei platzte indes aus den Nähten. Die Firma Facilides & Co. errichtete am Mühlgraben, die Wasserkraft zu nutzen, ein neues Gebäude im Wert von 18.000 Talern. Das neue Haus, Herberge für eine künftige Fabrik, war wohl im Jahr 1777 fertiggestellt. Nach dem Tod des Anteilseigners Friedrich Gottlieb Facilides, heiratet seine Witwe den jungen Kaufmann Wilhelm Conrad Gössel (Gössel-Brücke) aus dem Fürstentum Lauenburg. Gössels neuer Schatz, man munkelte von einer halben Tonne Goldes, das die Witwe mitbrachte, versetzt ihn in die Lage, seine Gesellschafter auszuzahlen, um ab 1814 alleiniger Inhaber der Firma zu sein. In Konkurrenz zu “Schindler & Co.”, später umbenannt in “F. L. Böhler & Sohn”, rüstete Gössel 1826 im Verlauf von zehn Jahren seine Fabrik zur Spinnerei und Weberei um. Auf diese Weise wuchs im heutigen Weisbachschen Haus, unter den Händen von Neumeister, Facilides und Gössel die erste Fabrik Sachsens. Im Unterschied zur Manufaktur produzierte sie, getrieben vom Wasser, mit Maschinen. Trotzdem blieb Verlagswirtschaft die vorherrschende, hiesige Produktionsform. Heimarbeiter fertigten unter primitivsten Bedingungen aus Rohmaterial edle Gewebe. Die Entlohnung war kärglichst, die sozialen Bedingungen waren menschenunwürdig. Die Herren der Baumwolle indes, erwarben in Reusa, Neundorf, Kauschwitz und weiteren Dörfern Rittergüter und bauten sie zu stattlichen Landsitzen aus. Am Oberen Graben und der Judengasse entstanden die prächtigsten Bürgerhäuser, wie die des Johann Christian Baumgärtel, den man ob seines Reichtums “Fürst von Plauen” nannte, und des Johann Christian Kanz (heute Heimatmuseum), die sich in ihrer Noblesse mit Patrizierhäusern in Frankfurt und Leipzig messen konnten.

Am Mühlgraben, zu Füßen der Grundmauern des einstigen Sitzes der Eversteiner Reichsgrafen, begann für Plauen und das Voigtland eine Geschichte, die einem Märchen gleicht, die Geschichte des permanenten Aufstiegs der Textilwirtschaft für ein anderthalb Jahrhundert. Die Wurzel dafür legte Wilhelm Conrad Gössel, der für seine herausragenden Leistungen vom Sächsischen Monarchen mit dem selten verliehenen Titel des Königlich Sächsischen Kammerrates geehrt wurde. Aus dem Fleiß voigtländischer Hände blühte Wohlstand für jene, die den dünnen Faden der Baumwolle mit dem Geist aufstrebenden Unternehmertums zu verknüpfen wussten. (ce)

Die Redaktion bedankt sich bei Achim Leißner für die Zuarbeit.

17.12.2008

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