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Plauener Stadtbrand 1844

Spitzengeschichte 01

Reglos hing die kleine Sturmglocke in den Abendstunden des 9. September 1844, einem Montag, in der oberen Laterne des rechten Turms der Johanniskirche. Seit sie das letzte Mal Alarm geschlagen hatte, waren einige Jahre ins Land gezogen. Gegen halb eins in der Nacht, durchschnitt der helle, durchdringende Klang der Feuerglocke die Gassen. Die Einwohner schreckten aus den Betten. „Feuer, Feuer“, hallte es. Grelle Flammen schossen empor, beißende Rauchschwaden breiteten sich unterhalb des Altmarktes aus. Bald wusste jedermann, dass das Feuer im gefährlichsten Teil der Stadt ausgebrochen war, im Endegässchen, inmitten von Schindeldächern, hölzernen Giebeln und Hinterhäusern. Gierig fraßen die Flammen von Haus zu Haus. Brennende Dachschindeln wurden von Winde umhergeweht, in der Stadt griff das Chaos um sich. Weinende Frauen mit Säuglingen auf dem Arm, oft nur notdürftig bekleidet, irrten umher, Kinder suchten schreiend ihre Eltern. Hastig wurde das laut brüllende Vieh aus den Ställen gezogen.

Stadtplan Plauen

Südlich des Altmarktes ging alles in Flammen auf – Repro: Stadtarchiv Plauen
 

Bald brannten die untere Seite der Herrenstraße und des Altmarktes, der obere und untere Steinweg, der Klostermarkt, die Schulgasse. Selbst die Häuser am Amtsberg und die Bürgerschule blieben nicht verschont. Mehr als 300 Gebäude standen gleichzeitig in Flammen. Eine gewaltige Feuersäule erhob sich in den Nachthimmel und kündete viele Kilometer von dem Inferno, das über Plauen hereingebrochen war.

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Unter Flüchen und Schreien des Entsetzens waren die Löschmannschaften beim ersten Ton der Feuerglocke zu den Spritzenhäusern gestürzt und hatten die schweren Geräte herausgezogen. Wasser musste herangeschafft werden. Dazu bildeten freiwillige Helfer Eimerketten von den Brandstellen bis zur nächsten Wasserstelle – einem Röhrenkasten, in dem sich Wasser aus den hölzernen Rohrleitungen sammelte, der Syra oder dem Lohmühlenteich. Die leeren Eimer wurden in einer zweiten Kette zurück- gereicht. Andere Männer, meist Mitglieder der Maurer- und Zimmererinnung, eilten zur Stadtmauer unterhalb der Johanniskirche. Dort lagerten unter kleinen Schutzdächern die Feuerleitern und die langen Feuerhaken. Man brauchte das Gerät, um aus den oberen Stockwerken Menschen zu retten.

Nach und nach traf Unterstützung von auswärts ein. Aus den Vorstädten kamen die Helfer, wenig später rückten Brandbekämpfer aus den Nachbarorten an. „Selbst aus der Residenzstadt Weimar hatte man die Landspritze eine Strecke weit zur Hilfe hinausgefahren, weil man infolge des hellen Feuerscheins die Brandstätte für viel näher hielt“, erinnerte Johanniskirch-Diakon Julius Vogel in einer Gedächtnispredigt am 9. September 1894 an die Gewalt der Flammen und die Solidarität der vielen Helfer. Die ganze Nacht des 9. September und den darauffolgenden Tag kämpften die Löschtrupps gegen das Feuer. Das Wasserreservoir reichte nicht aus, um den Brand unter Kontrolle zu bringen.

FeuerspritzeErst als die Flammen an den Brandmauern einiger fester gebauter Häuser keine neue Nahrung mehr fanden, gewannen die Brandlöscher allmählich die Oberhand. Am Nachmittag des 10. September konnte die Stadt endlich aufatmen. Die Männer hatten das Feuer endlich in den Griff bekommen, die Gefahr einer weiteren Ausbreitung bestand nun nicht mehr.

Jeder Sechste wurde obdachlos

 

Wie aber sah die Stadt nach der Katastrophe aus? Zwischen Altmarkt, Johanniskirche, Hradschin und Tunnel glich alles einem Trümmerfeld. 107 Wohnhäuser, 199 Nebengebäude und zwei Scheunen wurden ein Raub der Flammen. An vielen Stellen schwelte der Brand noch tagelang unter den Trümmern. Einige Straßen waren durch eingestürzte Straßen unpassierbar geworden, auf dem Kirchplatz, in der Neustadt und an anderen Orten stapelten sich, von der Kommunalgarde bewacht, gerettete Möbel und Hausrat. Daneben hockten weinende und klagende Frauen mit ihren Kinder. Der größte Teil dieser Habseligkeiten wurde wenig später in der Gottesacker-(Luther-)kirche eingelagert.

Zum Glück waren im großen Feuer wenigstens keine Menschen umgekommen. Dennoch forderte das Unglück zwei Opfer. Zwei Tage nach dem Brand starb ein 82-jähriger Schneider, den ein herabstürzender brennender Balken schwer verwundet hatte, und eine Woche später erlag ein 23-jähriger Helfer seinen Verletzungen, die er sich beim Einsturz einer Mauer zugezogen hatte.

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Von den 10.628 Einwohnern Plauens waren 1.674, also fast jeder sechste, obdachlos geworden. Den Gesamtschaden berechnete die Stadtverwaltung später mit 1.416.000 Mark. Diese Summe klingt selbst für heutige Verhältnisse noch gewaltig und war vor 160 Jahren unvorstellbar hoch. Damals verdiente ein Bäcker-, Fleischer- oder Tischlergeselle zwischen 62 und 135 Mark – im Jahr!

Ausgebrochen war das Feuer wohl im Haus des Lackierers Spranger, die Ursache konnte später nie genau ermittelt werden. Es hieß, dass eine Frau, die nach einer Feier spät nach Hause kam, ihre Kleider mit übertriebener Ordentlichkeit in den Schrank hängte und dabei den Herd vernachlässigte. Vor dem Stadtgericht angeklagt und verurteilt wurde später jedenfalls niemand.

Sogar der König spendete

 

Der Wiederaufbau steckte für viele Hausbesitzer und -bewohner voller Schwierigkeiten. Zum einen zahlte die Landesbrandkasse nur geringe Entschädigungen aus, weil der Wert der Häuser niedrig war, zum anderen erschwerten strenge Vorschriften das Bauen erheblich.

Die Behörden forderten massive Brandmauern bis über das Dach hinaus, die Treppen mussten bis hoch zum Dachboden künftig aus Stein sein. Letztere Vorschrift umgingen die Bauherren allerdings häufig. Andere Grundstücke durften gleich gar nicht mehr bebaut werden. Die Stadt kaufte sie an, um die Straßen zu verbreitern. Beim Steinweg, damals die Hauptstraße der Stadt, setzte der Stadtrat gegen einigen Widerstand aus der Bürgerschaft eine Verbreiterung auf 20 Dresdener Ellen (11,30 Meter) durch.

Erleichtert wurde der Wiederaufbau durchgroßzügige Hilfe aus ganz Deutschland. Die Liste der Städte, die den abgebrannten Plauenern mit Geld-, Lebensmittel- und Effekten-(Kleider-, Wäsche-)spenden unter die Arme griffen, reichte von Aachen bis Zwönitz. Die sächsische Majestät Friedrich August II. steuerte höchstpersönlich 500 Taler (1.500 Mark) zur Schadensbekämpfung bei, die Königin ließ den Plauenern 300 Taler zukommen, Prinzessin Auguste machte 100 Taler locker. Alles in allem flossen so 128.310 Mark nach Plauen, die auf die betroffenen Bürger verteilt wurden. Eigens für die Beschaffung und Verteilung von Geld und Hilfsgütern hatte sich eine 55-köpfige Hilfsdeputation gebildet, zusammengesetzt überwiegend aus Fabrikbesitzern, Handwerksmeistern, Kaufleuten und Lehrern.

Die honorige Gesellschaft entschied in jedem Einzelfall, wem wie viel zustand. Noch ehe die gesammelten Taler unter die Leute gebracht waren, hätten die Plauener Emmisäre fast schon wieder zum Spendeneintreiben ausrücken müssen. Am 22. November 1844 züngelten die Flammen in der Neustadt. Diesmal konnten beherzt eingreifende Bürger jedoch Schlimmeres verhindern, lediglich das zweigeschossige Gasthaus Blauer Engel sowie zwei Nachbarhäuser brannten ab. Mehr Arbeit als Arbeiter Den Herbst und Winter 1844/45 nutzten die Brandopfer, um ihre Grundstücke zu beräumen. Viel Platz für den Brandschutt bot der damals noch tiefe und breite Totengraben (Unterer Graben) vom Nonnenturm bis zum Oberen Graben. Auch die bis dahin steile Böschung vom Nonnenturm zur Lohmühle wurde mit den Trümmern angeschüttet. Kaum dass es das Wetter zuließ, begann im Frühjahr 1845 der Wiederaufbau. Auf der Riesenbaustelle gab es wesentlich mehr zu tun, als die hiesigen Bauarbeiter hätten bewältigen können. Auch das Material reichte hinten und vorn nicht, obwohl die nahe gelegenen Ziegeleien brannten, was die Öfen hergaben.

Von auswärts kamen Maurer und Zimmerleute nach Plauen, auch Steine und Kalk wurden über weitere Strecken herangeschafft. Die Branche boomte, würde man heute sagen, und es ging flott voran mit Kelle und Mörtel. Schon bis Ende 1845 war die reichliche Hälfte der abgebrannten Häuser wieder aufgebaut worden. Drei weitere Jahre dauerte es noch, bis die letzten Spuren des großen Brandes aus dem Stadtbild verschwunden waren. Wenn Altes zerstört wird, steckt darin meist die Chance für Neues. Das galt auch für den Plauener Stadtbrand von 1844. Das abgebrannte Kloster erleichterte die Ausdehnung der Stadt in Richtung Oberer Bahnhof. Zwar gab es in Plauen noch keine Zughaltestelle, es lagen noch nicht einmal Gleise auf städtischem Boden, doch konkrete Pläne für den Eintritt ins neue Reise- und Transportzeitalter waren im Rathaus schon vorhanden. Sowohl der Standort des künftigen Bahnhofes stand fest als auch die Straßenführung der Bahnhofstraße, die mit einer Brücke am Tunnel über das Syratal begann.

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