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Die Pfaffenmühle Plauen

Spitzengeschichte 37

  Pfaffenmühle Plauen Vereinsdomizil: Nach Brand und Wiederaufbau trafen sich der Verein der Naturfreunde (Foto, 1897), dessen Vereinsältester Wilhelm Merkel war, sowie der Gesangsverein Plauen regelmäßig in der Pfaffenmühle. Foto: privat

Am ersten Abend im Internat stellten sich die Neuen vor, die aus der ganzen Republik nach Waren an der Müritz zum Studium gekommen waren. „Ich bin aus’m Vogtland, aber des werd ihr net kenne“, spulte Andrea ihren Vers ab, als sie an der Reihe war.

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„Klar kenn’ ich das“, rief da unerwartet eine der neuen Kommilitoninnen dazwischen. „Ich war dort als Kind mit meinen Eltern mal im Urlaub gewesen. Nachmittags sind wir oft eingekehrt und haben Bockwurst gegessen. ‚Die Bockwurst bitte’, rief die Wirtin immer zum Fenster raus’“.

Die Episode liegt mehr als 20 Jahre zurück, die Sache mit der Bockwurst noch einmal zehn, zwölf Jahre länger. Andrea ist die Großcousine der drei Jahnsmüller-Kinder Jürgen, Heiko und Ute, und die Drei amüsieren sich mit ihrer Mutter Gisela noch heute, wenn sie daran denken, dass ihre Pfaffenmühle früher in der halben DDR als stets geöffnete Ausflugsziel bekannt war, aus der niemand hungrig oder durstig weggeschickt wurde. Den Wunsch nach dem DDRStandardimbiss hörte die Gastwirtin, die 1963 aus Jößnitz in die Pfaffenmühle einheiratete, zu DDR-Zeiten zigtausendmal aus dem Munde von Einheimischen und Jößnitzer FDGB-Urlaubern. Und ebenso oft hat sie das beliebte 95- Pfennig-Gericht (alternativ mit Kartoffelsalat oder Sauerkraut für 1,50) ausgegeben – mit dem beinahe legendären Spruch auf den Lippen.

Heute betreibt Gisela Jahnsmüller die traditionelle Ausflugsgaststätte mit Tochter Ute Palmetshofer und Sohn Jürgen. Heiko, der Mittlere, ist Fleischermeister und nimmt sich der Schlachtfeste an, die im Winterhalbjahr etwa alle vier Wochen stattfinden. Dass ihre Pfaffenmühle, gelegen zwischen dem Plauener Ortsteil Reißig und Jößnitz, 122 Jahre auf dem Buckel hat, mag mancher vielleicht am Baustil erkennen. Am Zustand des Hauses jedenfalls sieht man es nicht: Der ist außen wie innen tiptop.

Plauen schickte sich Ende des 19. Jahrhunderts an, Großstadt zu werden. Immer mehr Menschen zogen zu, und sonntags ging es hinaus in die Natur. Die wachsende Zahl der Ausflügler mögen Wilhelm Merkel und dessen Frau Anna zu dem Entschluss gebracht haben, eine Schankwirtschaft zu eröffnen. Der Pfaffenmüller beantragte eine Schankerlaubnis, und am 7. April 1884 schlug die Geburtsstunde der Gaststätte Pfaffenmühle.

Die Räumlichkeiten waren zunächst bescheiden: eine Gaststube und eine ausgebaute Erkerstube. Dort brach am 24. Juni 1895 ein Feuer aus, alle Rettungsversuche kamen zu spät. Das Gebäude brannte nieder. Nur ein Jahr später stand die Pfaffenmühle wieder, dieses Mal allerdings mit einem Geschoss mehr. Einmal beim Bauen, schaffte sich Wilhelm Merkel 1902 gleich noch Veranda und Biergarten an. „Das war damals die einzige geschlossene Veranda in der Umgebung, heute steht sie unter Denkmalschutz“, erklärt Junior-Chef Jürgen Jahnsmüller. Und weiter: „Die Biergärten legte man mit Kastanien und Kiesböden an. Kastanien schützen vor Regen und schlucken Geräusche, Kies wirkt schalldämmend und hält die Wärme.“ Der Pfaffenmühl-Biergarten ist in seiner ursprünglichen Anlage bis heute erhalten geblieben.

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Die Holzstühle, ebenfalls alte Wertarbeit und noch in Gebrauch, schafften 1936 schon die nächsten Besitzer an. Nachdem ihr Mann Wilhelm Merkel 1922 verstorben war, hatte Anna das Anwesen 1929 an Enkeltochter Hildegard und deren Mann Hugo Jahnsmüller verkauft. Das junge Paar bekam 1935 Sohn Wilhelm, der das Lokal 1970 mit Frau Gisela übernahm. Aus der Vorkriegszeit weiß Gisela Jahnsmüller noch eine amüsante Episode zu erzählen. 1939 standen ihre Schwiegereltern vor der Wahl: Wäschemangel oder Auto? Für eines reichte das Budget der jungen Wirtsleute nur. Sie wählten die Mangel, und trafen damit eine weise Entscheidung, wie sich später herausstellte. Denn die Mangel walzt noch heute Betttücher und -laken glatt, während Autos für die Wehrmacht konfisziert wurden. Rechnung und Lieferschein der Mangel haben Jahnsmüllers aufbewahrt – unter Glas an der Veranda, für jedermann nachzulesen.

Als der Krieg ausbrach, musste bald auch Hugo Jahnsmüller an die Front. 1947 kehrte er wieder heim. Dazwischen blieb die Gaststätte ein paar Jahre geschlossen, bis nach dem letzten Bombenangriff auf Plauen im April 1945 Obdachlose, es waren auch Dresdner darunter, bei Oma Anna, Enkeltochter Hildegard und deren zehnjährigem Sohn Wilhelm Unterkunft fanden. Zwar gab es in der Pfaffenmühle von jeher einige Fremdenzimmer, aber 27 Menschen auf einmal waren doch etwas viel. Die meisten der Ausgebombten richteten es sich in der Gaststube ein. Hugo Jahnsmüller gehörte nach dem Krieg zu den Gastwirten, die ihre Konzession behalten durften. Also ging es 1947 wieder los in der Pfaffenmühle. Die ersten Jahre lief das Geschäft schleppend, Essen auf Karten und Einkehren passten irgendwie nicht zusammen. Nebenbei hielten sich Jahnsmüller-Vater und -Sohn deshalb mit ihrer Werkstatt in der Veranda über Wasser. Sie bauten und reparierten so ziemlich alles, was anfiel.

Später dann, ab Ende der 1950er Jahre, schickte die Gewerkschaft Arbeiter und Angestellte nach Jößnitz ins Ferienheim. Kaum ein Urlauber, der auf seinen Wanderungen durchs nahegelegene Nymphental nicht in die Pfaffenmühle gelangte. Die Gäste wurden zahlreicher, und einmal quartierten sie sich gleich ungebeten ein. „Ende der 50er Jahre war das gewesen“, erzählt Gisela Jahnsmüller, „da kamen auf einmal Leute von der SED, könnte auch die FDJ gewesen sein, das weiß ich nicht mehr so genau. Jedenfalls stellten die einen Panzerschrank auf den Oberboden auf, bauten eine grobe Bohlenverkleidung davor und verlegten in der oberen Gaststube überall Leitungen. Das sollte wohl ein geheimer Stützpunkt oder so etwas werden.“ Genutzt wurde der konspirative Treff nie, aber Jahnsmüllers hatten später das „Vergnügen“, die Umbauten der geheimnisvollen Einsatztruppe wieder zu beseitigen.

Unbeschadet überstand die Pfaffenmühle auch Begehrlichkeiten der HO und des Konsums. Die streckten in den 50er Jahren die Hand nach dem Objekt aus. Doch das Gelände war den volksei genen Gastronomen zu groß, so dass sie die Finger davon ließen. Auf Hausmannskost wie Kartoffelsalat mit Bockwurst, Wiener, Schaschlik, Roster, Forelle, Schwammespalken (Pilzeintopf) und Sülze spezialisierte sich die Pfaffenmühle in den 60er Jahren. Sauerkraut und Sülze werden übrigens noch heute nach einem Rezept von 1884 zubereitet. Bekannt war das Haus in weitem Umkreis auch für seine große Auswahl an Torten und Kuchen. Auch sonst half man sich bei der Warenbeschaffung immer wieder selbst. Geliefert wurden nur Bier und Schnaps, alles andere holten die Gastwirte selbst ab. „Mit der Plaback und dem Konsum hatten wir nie Probleme, die haben immer getan, was sie konnten, auch wenn wir mal ein bisschen mehr oder was Besonderes brauchten. Wir haben natürlich auch mal was mitgebracht oder Plätze reserviert, wie das eben so war mit den kleinen Geschenken und der Freundschaft“, schmunzelt die Senior-Chefin.

Nach der Wende mussten Jahnsmüllers wie alle Gastronomen im Osten erst einmal kleinere Brötchen backen. „Mit der Währungsunion im Sommer 1990 wurde alles schlagartig teurer, die Leute waren zurückhaltender“, denkt Jürgen Jahnsmüller fünfzehneinhalb Jahre zurück. Jahnsmüllers packten die Modernisierung an. Eine neue Wasserleitung wurde verlegt und 1993/94 ein Anbau, die heutige Gaststube, mit 100 Plätzen hochgezogen. Tiergehege und Kinderspielplatz folgten.

Um alle Klippen der Planwirtschaft hatte Wilhelm Jahnsmüller die Pfaffenmühle erfolgreich geschifft, die Nachwendezeit konnte er nicht mehr miterleben. Er starb 1991. Auch im Sinne ihres Mannes lässt Gisela Jahnsmüller deshalb die Geschichte der Pfaffenmühle in Exponaten weiterleben. Im ganzen Haus stellt sie die rührige Gastwirtin aus – Haushaltgeräte, Spielsachen, Bücher, Zeitungen und vielen andere Zeugen der 122-jährigen Familientradition.

Weitere Geschichten auch im “Historikus Vogtland” 

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2009-10-21

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