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Plauener Schmuggel-Stickmaschinen

Spitzengeschichte 30

HandstickmaschineWie der gescheiterte Johann Christian Baumgärtel, der bereits 1790 nach England gereist war, um sich eine Spinnmaschine zu beschaffen, versuchte es ein halbes Jahrhundert später auch der Fabrikant Fedor Schnorr mit einer Stickmaschine aus der Schweiz; vergeblich. Ihm war es 1855 nicht gelungen, von der Pariser Weltausstellung eine moderne Schweizer Maschine mitzubringen. Er bekam, obwohl er den Rückweg über die Schweiz nahm, nicht einmal eine solche zu Gesicht. Doch kennen gelernt hatte er auf der Messe rein zufällig den Professor Friedrich Kohl von der kgl. Werkmeisterschule Chemnitz.

Obwohl die Schweizer ihr Wissen um die revolutionierend gut funktionierende Stickmaschine weiter sorgsam hüteten, glückte es, zwei solcher Maschinen nach Plauen zu entführen. Fedor Schnorr hatte den Schweizer Studenten Albert Voigt, vermittelt durch jenen Chemnitzer Professor, für diese heikle Mission angeworben. Ausgestattet mit einer Börse voller Goldstücke, reiste Voigt in die Schweiz und ließ Monate nichts von sich hören. In der Schnorrschen Fabrik vermutete man schon das Schlimmste. Doch am 27. Oktober 1857, bei Nacht und Nebel, brachte Voigt zwei Stickmaschinen in die Fabrik an der Hofwiesenstraße. Stickmeister Friedrich Roth und ein Monteur folgten Neujahr 1958.

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Dieser Monteur, von dem niemand so recht sagen konnte, wo Voigt ihn aufgetrieben hatte, war Johann Conrad Dietrich aus dem Wetzikon im Kanton Zürich. Er war einer der beiden »Dietriche«, die fast ein Vierteljahrhundert später mit der Gründung der Firma “J. C. & H. Dietrich” den Grundstock für eine künftige Weltfirma legen sollten. Doch zunächst setzte Beststudent Voigt selbst sein durchaus passables Honorar als Startkapital für die Gründung einer kleinen Maschinenfabrik in Kändler ein. Auch sie war Vorläuferin der fernerhin größten Sächsischen Stickmaschinenfabrik in Kappel, damals noch ein Vorort von Chemnitz.

Mit Inbetriebnahme der Schweizer Maschinen im Jahre 1858 begann in der Plauener Stickerei- und Weißwarenherstellung der eigentliche Übergang zur industriellen Fabrikation. Die Hochzeiten der Wasserräder der Fabrikanten Gössel und Böhler an Mühlgraben und Elsterknie waren endgültig vorbei. Im Zeitraum von 1862 bis 1872 wuchs die Stickereiproduktion, die mit 42 Maschinen bei Schnorr & Steinhäuser begonnen hatte, auf nicht weniger als 239 Stickereien mit insgesamt 907 Maschinen.

Diese nunmehr dritte Blütezeit der voigtländischen Textilindustrie, die zwangsläufig zwischen Schnorr und Voigt im Wechselspiel mit dem Stickmaschinenbau stattfand, setzte sich bis zum Vorabend des ersten Weltkriegs in atemberaubendem Tempo fort. In dieser ersten Gründerzeit wuchs die Stadt zum zweiten mal in Ihrer Geschichte über die alten Grenzen hinaus. Es entstanden Vorstädte, erstmals nach einem städtischen Bebauungsplan. Jenseits der Elster an der Pfaffenfeld- und Talstraße, über den Hradschin um die Schlossstraße, die Bahnhofstraße hinauf, ins Tal der Syra hinein und um die Gartenstraße in ihrem noch heute ablesbaren, typischen Baustil doppelstöckiger Häuserkarrees.

Niemand ahnte, dass der rasante Aufschwung, durch den die Herren Schnorr, Voigt und Dietrich schnell zu Millionären wurden, erst der schüchterne Anfang war. Der Zufall hatte vollbracht, aus einer abenteuerlichen Episode um zwei Stickmaschinen, unter Beteiligung keines halben Dutzend tatkräftiger Männer, in einer dafür reifen Zeit, eine fürwahr revolutionäre Entwicklung für das ganze Königreich auszulösen. Wie so oft in der Geschichte der Stadt, war aus einer Not eine Tugend geworden.

Die Verdienste Schnorrs um die voigtländisch-erzgebirgische Industrie, die der sächsische König bereits 1868 mit dem Albrechtsorden erster Klasse gewürdigt hatte, erlebte auf dem Fest, das Schnorr zur 25. Wiederkehr des Tages des Eintreffens der beiden Schweizer veranstaltete, noch eine Steigerung. König Albert von Sachsen ließ mitteilen, dass er Schnorr zum ersten Kommerzienrat des Voigtlandes ernannt habe. Im Jahr 1881 arbeiteten im Voigtland bereits 2.357 Stickmaschinen aus Kappel und aus der Schweiz, deren Zahl sich in den darauffolgenden drei Jahren auf 4 715 glattweg verdoppelte. Doch dies ist bereits eine andere Geschichte.

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Die Redaktion bedankt sich bei Achim Leißner für die Zuarbeit. (ce)

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